Was macht einen Raum lebenswert? Unser Buchtipp
17. Juni 2024
Wettbewerb für deutsche Innenarchitekt:innen
Mensch – Raum, Raum – Mensch: Unter diesem Fokus stand der diesjährige Wettbewerb des Bundes der deutschen Innenarchitekten. Knapp 100 davon haben sich mit einer Einreichung beteiligt. Dann hatte eine sechsköpfige Expertenrunde unter der Leitung von bdia Präsidentin Pia A. Döll die Aufgabe, 25 Projekte auszuwählen, die jetzt im aktuellen Band „bdia Handbuch Innenarchitektur 2024/2025“ der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Was macht einen Raum lebenswert? Was zeichnet gute Innenarchitektur aus? Solchen Fragen musste sich die Jury stellen. Ein Jurymitglied, Professor Jens Wendland, beschreibt die Jurysitzung folgendermaßen: „Es war ein Vergnügen, an der Zusammenstellung dieses breiten Querschnitts durch die innenarchitektonischen Möglichkeitsfelder mitwirken zu dürfen.“ Die 25 ausgewählten Projekte sind nun – in ihrer Gesamtheit betrachtet – vollkommen unterschiedlich und zeigen durchweg hohes Niveau. Zeit, das Buch zu öffnen und uns einige der Projekte genauer anzusehen.
Restaurant Morgenmuffel
Zuhause ist da, wo wir uns wohlfühlen. Dass das nicht unbedingt in den eigenen vier Wänden sein muss, zeigt das Brunch-Restaurant Morgenmuffel in Hamburg. In einem denkmalgeschützen Altbau aus dem 19. Jahrhundert mit hohen Decken, Stuck und Dielenböden hat Ingo Haerlin vom Büro DESIGN IN ARCHITEKTUR einen eigenen Kosmos kreiert. In mehreren Räumen kann man in verschiedene Welten ein – bzw. dort abtauchen. Zuerst bietet der Eingangsbereich ein stilvolles Willkommen mit einem Boden aus dunklem Terrazzo. Eine Theke aus dem gleichen Material wächst daraus wie ein Monolith empor, gedeckte Stoffe begleiten die Szenerie.
Ganz anders geht es im Blauen Salon weiter. Seine eindrucksvolle, monochrome Farbgestaltung hüllt den Besucher rundum in tiefes Samtblau ein. Helle Holztische akzentuieren den Raum und werden von Flowerpot Pendelleuchten schön in Szene gesetzt: Hier kann man gut in den Tag starten. Aber auch an diejenigen, die lieber vor sich hindösen wollen, wurde gedacht: Für sie findet sich Platz in einem Alkoven mit zwei Betten. Diese werden von einer Stellage gekrönt: Dort kann man sein Frühstück genießen – und die Szenerie draußen beobachten.
Wer dagegen früh schon hellwach ist (oder es werden möchte), lässt sich am besten im Raum „Marrakech“ nieder. Helle Wände, dazu eine Decke in kräftigem Orangerot plus ein Mobiliar in kräftigen Tönen: Die kontrastreiche Gestaltung bietet einen sinnlich-lebendigen Kick in den Tag.
Last but not least steht in dem Brunch-Lokal auch noch ein Separee für geschlossene Gesellschaften zur Verfügung. Ebenfalls in kräftigen, warmen Farben gestaltet, sind seine farbigen Spiegelwände der Clou. Sie helfen, den Raum optisch zu erweitern, verleihen ihm Tiefe.
Fünf auf 100
Mit einer gänzlich anderen Themenstellung sah sich Elisabeth Müller von Elisabeth Müller Innen-Architektur konfrontiert. Eine fünfköpfige Familie brauchte für ihre zweigeschossige 100 qm-Wohnung in Berlin ein Konzept, das die Ansprüche aller Familienmitglieder berücksichtigte und so einen Umzug überflüssig machte.
Die Lösung? Alle tragenden Wände wurden entfernt, um Platz für offene Raumstrukturen zu schaffen. Jetzt trennen und verbinden Schiebeelemente die verschiedenen Individualbereiche auf zwei Etagen: Tagsüber öffnen sich die Kinderzimmer in den Spielflur und das Elternbett darf allen Familienmitgliedern als Rückzugsort dienen. Erst am Abend wird der Elternbereich durch transluzente Schiebeelemente separiert. Eine cleverer Kniff, denn das Öffnen und Schließen einzelner Schiebeelemente ermöglicht unterschiedliche Raumsituationen. Gleichzeitig ergeben sich dadurch wechselnde Sichtachsen, die das Wohnen spannungsreicher machen.
Natürlich tragen auch durchdachte Detaillösungen zum perfekten Wohngefühl bei. Und intelligente Stauflächen ermöglichen es, jeden Winkel zum Spielen, Leben und Wohnen zu nutzen. Dazu gibt es einen durchgehenden Bodenbelag, ein einheitliches Farbschema und eine sich durchziehende Beleuchtung: Das alles erzeugt ein Gefühl der Großzügigkeit.
Das Architekturbüro hat den Anspruch „Build once, keep forever“. Und dieser langfristige Ansatz ist auch an der Möblierung zu sehen: So finden sich zeitlose Klassiker hier, wie Eames Chairs, Tolomeo Leuchten oder die Louis Poulsen PH5. Auf diese Weise wird perfekt gezeigt, dass ‚eine junge Familie haben‘ und ‚designorientiertes Wohnen‘ keine unvereinbaren Gegensätze sind.
Klinikum Wahrendorff
Das Wohlbefinden mittels gut gestalteter Räume positiv beeinflussen – nirgends ist es wichtiger als an einem Ort, der sich der gesundheitlichen Wieder-Herstellung widmet. Im Klinikum Wahrendorff in Sehnde, einem ‚Krankenhaus für die Seele‘ ist diese Aufgabe aufs Schönste gelöst. Die Gestaltung hat Sabine Krumrey von brandherm & krumrey interior architecture Büro Hamburg übernommen. Und es dabei verstanden, die klinikspezifischen Vorgaben so geschickt umzusetzen, dass am Ende Räume entstanden sind, die Rückzug ermöglichen, dabei Geborgenheit vermitteln und dadurch auch Behandlung und Regeneration unterstützen.
Kern der innenarchitektonischen Lösung ist ein monochromes Farb-Konzept. Die drei verschiedenen Gebäudetrakte bekamen dabei jeweils eine eigene Farbe zugeteilt, entweder Grün, Blau oder Rot. Dieses Farbschema zieht sich dann durch alle öffentlichen Bereiche, sowie die Patientenzimmer durch. Hier findet sich die Farbe am Kopfende der Betten. Diese bekamen einen hölzernen Rahmenbau, der dann mit der Stationsfarbe gefüllt wurde.
Obwohl sich das Farbkonzept breitflächig durchzieht, gibt es dennoch Varianten: Verschiedene Sättigungsgrade schaffen unterschiedliche Nuancierungen, kreieren unterschiedliche Atmosphäre. Als wiederkehrende Elemente dienen Holzoberflächen und Textilien. Bodentiefe Vorhänge sind Sicht-, bzw. Lichtschutz und helfen gleichzeitig, den Stauraum zu verbergen. Dazu noch eine designorientierte Möblierung: Man kann fast vergessen, dass man in einem Krankenhaus ist.
Fazit & mehr
Diese drei Beispiele stehen exemplarisch für die breit gefächerte Vielfalt des neuen bdia Handbuch Innenarchitektur. Und: Die 25 meisterhaften Projekte werden im Buch um noch drei besondere Fachbeiträge ergänzt. Diese befassen sich mit den Themen “Wie verhält sich Farbe zum Nutzen des Raumes?“, „Wie wird Licht am besten eingesetzt?“ und „Was ist die Beziehung zwischen Mensch und Raum?“.
So ist ein optisch inspiratives Buch entstanden, das zudem wichtiges Wissen vermittelt. Eigentlich als Nachschlagewerk konzipiert, ist das Buch nicht nur für alle diejenigen interessant, die sich mit Innenarchitektur befassen (einen Adressteil mit allen bdia-Mitgliedern, sowie den Förderpartnern gibt es auch), sondern es ist ein Buch, das beim Blättern, Anschauen und Lesen einfach Freude macht. Und weil alle Projekte um konkrete Pläne ergänzt werden, können auch Menschen, die sich rein privat für Interieur interessieren, einiges daraus lernen.
Mehr Infos zum Buch gibt es hier: https://www.callwey.de/buecher/bdia-handbuch-innenarchitektur-2023-24/
Bilder:
Restaurant Morgenmuffel (inkl. Aufmacherbild): Nina Struve, Hamburg
Fünf auf Hundert: Kfir Harbi; achso Digital Creative Agency
Klinikum Wahrendorff: Joachim Grothus, Herford