Experteninterview über Schlafstörungen
9. September 2019
Schlafen Sie gut? Keine Panik, falls die Nachtruhe öfter mal eine Herausforderung für Sie darstellt. Denn Sie sind damit nicht alleine – die Anzahl an Schlafstörungen hat in den letzten Jahren zugenommen. Dabei ist Stress im Job laut einer Umfrage die häufigste Ursache.* Wir haben mit Dr.med. Bernd Herberger vom schlafmedizinischen Zentrum ProSomno rund um das Thema Schlafen gesprochen.
Folgendes Beispiel: Nehmen wir an, eine Person hatte nie Schlafprobleme. Plötzlich ändert sich das und genügend Schlaf zu bekommen wird jede Nacht zur schweren Aufgabe. Was können die Hintergründe sein, wenn derjenige scheinbar gesund ist?
Die Schlafmedizin geht davon aus, dass der Schlaf der Seismograph der Seele und des Körpers ist. Der Schlaf reagiert als Erstes, wenn sowohl in der psychischen Erlebniswelt als auch im körperlichen Bereich irgendetwas nicht richtig läuft. Aus diesem Grund ist ein Schlafproblem, das plötzlich auftritt, ein Zeichen dafür, dass im psychophysischen Bereich eine Störung vorhanden ist. Diese kann im seelischen Bereich liegen: Zum Beispiel im Rahmen der Verarbeitung von Umwelteinflüssen, einer Belastung durch Arbeitsprozesse oder Ähnlichem. Es kann aber tatsächlich auch der Beginn einer körperlichen Erkrankung sein.
Zunächst sollten organische Ursachen ausgeschlossen werden, wie beispielsweise eine Schilddrüsenfunktionsstörung, eine kardiale Ursache, eine Funktionsstörung der Atmung in der Nacht oder andere organische Störungen.
Wieso leiden heutzutage immer mehr Menschen an Schlafstörungen?
In den letzten Jahrzehnten hat die Anzahl an Schlafstörungen tatsächlich zugenommen. Aber das liegt auch daran, dass der Schlaf und seine Bedeutung generell mehr im Fokus stehen. Es gibt über 100 schlafmedizinische Diagnosen, die einzeln betrachtet werden müssen, wenn wir von der Häufigkeit der Schlafstörungen sprechen. Auch unser moderner Lifestyle spielt eine große Rolle: Wir nutzen digitale Geräte im Übermaß und die allgemeine, zunehmende umweltbedingte Reizüberflutung kann einen guten Schlaf stören.
Eine besonders verbreitete Schlafstörung, bei der sich keine organischen Ursachen feststellen lassen, stellt die Insomnie dar. Man spricht auch von einer erlernten Schlafstörung, etwa durch Grübeln oder negativem Stress. Hierbei bemerkt die Person massive Ein- und Durchschlafstörungen.
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa 25 Prozent der Bevölkerung über Schlafstörungen berichten. In der Jugend seltener, im Alter wesentlich häufiger.
Generell gilt: Schlaf ist wichtig und massiv an der Regeneration von geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit beteiligt.
Inwiefern geben Uhrzeiten, zu denen man immer nachts wach ist, einen Hinweis auf die Ursache?
Wenn Menschen nachts aufwachen, sprechen wir heutzutage von dem so genannten „4:00 Uhr morgens Syndrom“. In dieser Zeit kreuzt sich der Schlafdruck, der während der Nacht langsam abnimmt, mit dem zunehmenden Wachdruck. Es entstehen dann Ängste für den darauffolgenden Tag. Man möchte unbedingt schnell weiterschlafen, um am nächsten Morgen erholt zu sein - eine sehr starke Belastung des gesamten Schlaf-Wach-Systems.
Eine Ursache mal eben klar festzumachen, ist schwer. Aber eine sorgfältige Analyse der Anamnese des Patienten führt häufig zu seelischen oder menschlichen Problemen in der Arbeitswelt oder in der Familie.
Was kann man tun, um zu entspannen, wenn man nachts wach liegt?
Die Entspannung ist nicht das Wichtigste. Entscheidend ist, wie wir mental drauf sind, wenn wir nachts nicht schlafen. Jeder muss für sich herausfinden, was einem dann gut tut. Eine gute Möglichkeit ist sicherlich die Ablenkung, indem man aufsteht und etwas anderes tut. Wenn man wieder einschlafen möchte, sollte man sich vor allem nicht dazu zwingen. Der Schlaf kommt von selbst, wenn man sich mit etwas beschäftigt, was einen nicht aufregt. Ruhe ist wichtig. Zu liegen und nicht zu schlafen sollte angenehm sein. Tatsächlich erholt man sich dann nachts auch in solchen Phasen.
Kann ich Schlaf wirklich nachholen, wenn dieser mal zu kurz kam?
Unsere Schlafzeiten sind bedingt durch die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse. Im Mittelalter wurde teilweise fraktioniert geschlafen. Die Menschen gingen zu Bett, wenn es dunkel wurde, schliefen drei Stunden und wurden dann wach. Wenn sie Geld für eine Öllampe hatten, konnten sie vielleicht lesen, oder sich mit dem Vieh unterhalten und haben am Morgen noch einmal geschlafen.
Ein fraktioniertes Schlafen ist durchaus auch heute möglich und wird auch praktiziert. Viele Menschen können vorschlafen oder kompensatorisch nachschlafen, was im jugendlichen Alter fast allen noch gelingt.
Die Uhrzeit dauerhaft auf Sommerzeit zu ändern, steht in der Diskussion. Inwiefern würde das unseren Schlaf beeinflussen?
Die halbjährliche Änderung der Uhrzeit und deren psychophysiologischer Regulation ist eine starke Herausforderung. Ein hoher Prozentsatz der Kinder und auch der Erwachsenen sind nicht in der Lage, sich schnell umzugewöhnen. Deswegen ist die Umstellung auf Sommer- bzw. Winterzeit in jeder Hinsicht unsinnig. Schlafstörungen werden durch diese Änderungen erheblich getriggert, vor allem bei Menschen, die aus genetischen Gründen nicht sehr schlafbegabt sind.
Deshalb sollte die Winterzeit konsequent beibehalten werden.
Wenn jemand dauerhaft schlecht schläft, erhöht sich das Risiko krank zu werden und außerdem an Gewicht zuzunehmen. Weshalb ist das so?
Durch Schlafstörungen wird das gesamte Organsystem des Menschen stark beeinflusst, unter anderem auch die Immunabwehr. Die Balance der hormonellen Ausschüttung von Cortison, Melatonin sowie zum Beispiel Grellin und Leptin wird gestört. Das eine dieser Hormone dient der nächtlichen Appetitreduzierung, das andere der täglichen Appetitanregung.
Sind diese Systeme in Dysbalance geraten, besteht ein massiv erhöhtes Risiko, dick zu werden und schon bei leichteren Infekten richtig krank zu werden. Auch das Abspeichern und Verarbeiten kognitiver Tagesinhalte wird durch Schlafstörungen massiv beeinträchtigt.
Wenn ich einen stressigen Alltag habe, mit wenig Bewegung im Büro, erhöhter Smartphone- und Computernutzung und dies nicht einfach reduzieren kann: Wie kann ich trotzdem erholsam schlafen?
Wer nachts entspannen will, sollte ein Buch lesen oder durchaus auch aufstehen. Blaues Licht hingegen, sprich Fernsehen, Notebook, etc. sollte vermieden werden, da hiermit dem Organismus Tageshelligkeit signalisiert wird und das Gehirn den Impuls zum Wachwerden erhält. Ein lauwarmes, nicht alkoholisches Getränk kann zudem schlaffördernd und entspannend wirken.
Zur Verbesserung der Entspannung am Abend kann auch ein Schlafcoach befragt werden, vor allem für all die Menschen, die von Natur aus nicht sehr schlafbegabt sind.
Was kann ich tun, wenn ich schlecht geschlafen habe und am Tag darauf trotzdem leistungsfähig sein muss?
Zunächst sollten Sie wissen: Sie werden nicht so leistungsfähig sein wie sonst. Beginnen Sie in Ruhe den Tag und zwingen Sie sich nicht zu falschen Leistungsanforderungen. Den Schlaf zu kompensieren und genauso leistungsfähig zu sein wie mit gutem Schlaf, ist illusorisch.
An solch einem Tag sollten Sie sich nur auf die notwendigsten Aufgaben konzentrieren.
Wenn möglich, sollten Sie einen Powernap am Arbeitsplatz oder kurzen Mittagsschlaf halten, allerdings nicht länger als 45 Minuten. Wenn es geht, sollten Sie die Arbeit früh beenden, um den Schlaf nachzuholen.
Wenn jemand über längere Zeit schlecht schläft: Ab wann wird es gefährlich?
Wir wissen, dass kontinuierliches schlechtes Schlafen objektiv nachgewiesen nach mindestens fünf Jahren zu einer organischen Schlafstörung führt. Dies ist dann wirklich gefährlich.
Die Definition einer Schlafstörung nach der ICSD (International Classification of Sleep Disorders) lautet: Eine Schlafstörung liegt dann vor, wenn über einen Zeitraum vom mindestens drei bis vier Wochen kontinuierlich Ein- und Durchschlafstörungen andauern und dadurch eine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit am Tage besteht.
Wann ist es sinnvoll, ein Schlaflabor aufzusuchen?
Es ist dann sinnvoll ein Schlaflabor aufzusuchen, wenn die oben genannte Definition der ICSD zutrifft und die Symptomatik und Ursache der Schlafstörung unklar ist.
Im Fall einer schlafbezogenen Atmungsstörung ist ein Schlaflaboraufenthalt immer dann sinnvoll, wenn die Anamnese gemeinsam mit der ambulanten Vordiagnostik Hinweise auf eine schlaf-bezogene Atemstörung geben.
Ab wann hat Schnarchen negative Auswirkungen auf die Gesundheit und man sollte sich Hilfe holen?
Ein reines Schnarchen ohne Verengung der Atemwege belästigt zwar den Bettpartner, ist jedoch aus medizinischen Gründen sekundär.
Soweit ein Schnarchen mit Aufwachreaktionen verbunden ist und zu Schlafstörungen führt, sollte dies entsprechend abgeklärt werden.
Schnarchen kann der Ausdruck einer schweren Atmungsstörung sein. Dann hat es negative Auswirkungen. Wenn ein Mensch jede Nacht schnarcht und sich tagsüber unwohl und müde fühlt, dann sollte eine Untersuchung stattfinden, ob eine Schlafapnoe vorliegt.
Welche Entspannungstechniken können Sie für einen erholsamen Schlaf empfehlen?
Das ist sehr individuell zu bedenken. Man muss den Patienten genau kennen, um eine entsprechende Entspannungstechnik zu empfehlen. Jeder Mensch hat eine gewisse Eigenart, damit umzugehen. Aus diesem Grunde raten wir davon ab, allgemeine Entspannungstechniken anzuwenden. Finden Sie heraus, was Ihnen persönlich gut tut!
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
*Das ergab eine aktuelle forsa-Umfrage für die Kaufmännische Krankenkasse, siehe https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/105620/Stress-im-Beruf-haeufigste-Ursache-fuer-Schlafstoerungen
Mehr Infos über das das schlafmedizinische Zentrum ProSomno erfahren Sie hier: http://www.prosomno.de/